Weltschmerz, Fingerspitzengefühl, Dunkelziffer: Die meisten deutschen Muttersprachler*innen werden ahnen, was diese kleine Wortgruppe verbindet. Sie alle lassen sich beinahe unmöglich auf die Schnelle in eine Fremdsprache übersetzen. Doch was hat es mit diesen vermeintlich unübersetzbaren Wörtern auf sich? Und lässt sich ihre Bedeutung in einer anderen Sprache überhaupt ausdrücken?
Ein Beitrag von Valentina, Texterin mit Faible für linguistische Eigenheiten
Gibt es im Deutschen besonders viele unübersetzbare Wörter?
In Diskussionen um besonders komplizierte linguistische Phänomene wird die deutsche Sprache häufig als Paradebeispiel hervorgehoben. Daran ist besonders die Grammatik schuld. Kasus, Genus und Syntax bringen Fremdsprachler*innen bisweilen an den Rand des Nervenzusammenbruchs und besonders Komposita – eine deutsche Spezialität – erwecken schnell den Eindruck, dass Mark Twain mit seinem Aufsatz über „The Awful German Language“ gar nicht so Unrecht hat. Er behauptet, es würde einen gebildeten Menschen 30 Jahre kosten, Deutsch zu lernen.
Auch an der scheinbaren Unübersetzbarkeit mancher Wörter sind Komposita nicht ganz unschuldig. Man denke nur an Wörter wie „Schadenfreude“, „Fremdschämen“ oder eben „Nervenzusammenbruch“, die aus mehreren Nomina oder auch einem Nomen und einem Verb bestehen. Mithilfe solcher Zusammensetzungen kann im Deutschen ein Sachverhalt präzise mit einem Wort ausgedrückt werden. Die meisten anderen Sprachen brauchen dafür mehrere Wörter. Zwar gibt es für solche Ausdrucke in den meisten Fremdsprachen keine Ein-Wort-Pendants, häufig lassen sich aber äquivalente Ausdrücke im Wörterbuch finden. Komposita allein machen also noch keine Unübersetzbarkeit.
Was hat es mit unübersetzbaren Wörtern auf sich?
Aber was ist, wenn sich für ein deutsches Kompositum eben kein äquivalenter Ausdruck finden lässt? Bleiben wir einmal bei dem Beispiel der „Schadenfreude“. Ein Wort, das die Freude darüber beschreibt, dass ein anderer Mensch zu Schaden kommt. Kein besonders sympathisches Wort, dafür aber ein präziser Ausdruck für ein sehr spezifisches Gefühl. Ein Phänomen, das anscheinend nur im deutschen Kulturraum relevant genug ist, um es mit einem eigenen Wort zu versehen. Dennoch ist das Gefühl der Schadenfreude universell genug, dass sich der Begriff zu einem Lehnwort entwickelt hat. Im Englischen, Französischen, Italienischen, Spanischen, Portugiesischen und Polnischen greift man auf das deutsche Wort zurück. Ebenso verhält es sich mit weiteren deutschen Ausdrücken wie Fernweh, Doppelgänger oder Wanderlust, wobei „wanderlust“ mittlerweile sogar im Cambridge Dictionary zur eingetragenen englischen Übersetzung von „Fernweh“ avanciert ist. Manche Wörter sind also so treffend, dass sie nach einiger Zeit den Wortschatz anderer Sprachen erweitern.
Unübersetzbare Wörter als Indikatoren kultureller Eigenheiten
Warum entstehen also diese besonders spezifischen, einzigartigen Wörter? Eine mögliche Antwort ist, dass das bezeichnete Phänomen entweder einzigartig im jeweiligen Kulturraum ist, oder aber, dass es schlichtweg besonders häufig zum Thema zwischenmenschlicher Kommunikation wird. So häufig, dass sich ein eigenes Wort dafür entwickelt. Was die einzigartige Stellung von „Schadenfreude“ in diesem Kontext über Deutsche aussagt, sei dahingestellt.
Fest steht also, dass „unübersetzbare“ Wörter einiges über die Kultur aussagen, in der sie entstehen. Und sie sind nicht allein ein deutsches Phänomen.
Inuktitut und die Zeit
Auf Inuktitut, ein Oberbegriff für die Inuit-Sprachen Kanadas, existiert beispielsweise kein einziges Wort für europäische Konzepte wie „Versprechen“ oder „Vertrag“. Diese Begriffe gibt es auf Inuktitut nicht, da die Inuit die Zukunft als inhärent unkontrollierbar ansehen. Die traditionelle Lebensweise der Inuit, die lange Zeit stark von der Witterung und der Unberechenbarkeit der Natur abhing, spiegelt sich in den linguistischen Besonderheiten des Inuktitut wider. So verwenden Inuit beispielsweise das Wort „vielleicht“ um einiges häufiger, als ihre euro-kanadischen Mitbürger*innen. Für die Inuit kann die Zukunft nämlich nie ganz gewiss sein. Passend zu diesem Zeitverständnis ist auch das unübersetzbare Wort „iktsuarpok“. Es beschreibt den freudigen, unruhigen Zustand des Wartens, wobei der*die Wartende immer wieder zur Tür oder zum Fenster geht, um zu überprüfen, ob die erwartete Person endlich auftaucht.
Japanisch und die Natur
Respekt vor der nicht-menschlichen Umwelt ist auch ein großer Teil der japanischen Kultur. Das zeigt sich nicht nur in traditionellen Ritualen, sondern auch in der Sprache. So bezeichnen unübersetzbare japanische Wörter häufig die Natur oder hängen mit ihr zusammen. „Komorebi“ beschreibt den Moment, an dem ein Sonnenstrahl durch die Blätter eines Baumes scheint. „Momijigari“ heißt so etwas wie „Herbstfarbenjagd“ und beschreibt die japanische Tradition, nach der Gelb-Färbung der Blätter im Herbst in einem Laubwald spazieren zu gehen.
Finnisch und sich in Unterhosen betrinken
Auch in Finnland gibt es Wörter, die in ihrer Bedeutung einzigartig sind. Das wohl lustigste unter ihnen lautet „Kalsärikännit“ und beschreibt eine Art finnische Self-Care-Technik. Dabei betrinkt man sich alleine zuhause in Unterhosen und plant, das Eigenheim an diesem Tag nicht mehr zu verlassen.
Wie übersetzt man nun das Unübersetzbare?
Prinzipiell gilt die Devise, dass kein Wort unübersetzbar ist. An manchen Stellen ist nur etwas mehr Aufwand gefragt. Und das gilt besonders für Wörter, die in einer Sprache einzigartig sind. Was man als Übersetzer*in in eine andere Sprache übertragen möchte, ist der Sinn des Wortes, nicht das Wort selbst. Um sicherzustellen, dass in der Übersetzung nichts von diesem Sinn verloren geht, muss man sich manchmal genau überlegen, worum es eigentlich geht. Hierbei ist vor allem Kreativität und Präzision gefragt. Den Ausdruck „Fingerspitzengefühl“ kann man zwar nicht als „fingertipsfeeling“ ins Englische übertragen, aber unmöglich ist eine Übersetzung auch nicht. Umschreibungen wie „showing empathy in delicate situations“ oder auch einfach „being tactful with somebody“ könnten hier einen Anfang darstellen.