Volapük, Esperanto und Co.: Kunstsprachen in und außerhalb der (Science) Fiction

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Sie sind Grundbaustein der Fantasyliteratur und aus Erfolgsserien wie Game of Thrones oder Star Trek nicht wegzudenken: Kunstsprachen. Denn nur wenn die fiktiven Universen für Leser*innen und Zuschauer*innen authentisch wirken, können sie ganz in sie eintauchen. Wenn Sprache und Kommunikation dabei gewissen Regeln folgen, kommen einem Tolkiens Elben oder Dothraki und außerirdische Völker gar nicht mehr so fremd vor. Vor allem, wenn es theoretisch möglich wäre, diese Sprachen selbst zu lernen. Eine Idee, die in der realen Welt schon vor langer Zeit Wellen geschlagen hat…

Ein Beitrag von Valentina, Junior-Texterin in Berlin

Kunstsprachen als Fantasy-Sprachen

Bei World-Building und Kunstsprachen dürften die meisten von uns an einen ganz besonderen Namen denken: J. R. R. Tolkien. Denn in seinem Hauptwerk Der Herr der Ringe wimmelt es nur so von künstlichen Sprachen. Und sie alle haben eines gemeinsam: Sie sind äußerst komplex, authentisch und völlig frei erfunden. In seiner fiktiven Welt Mittelerde werden an die fünfzehn verschiedene Sprachen gesprochen, darunter Elbisch, Quenya und Sindarin, die Zwergensprache Khuzdul und die Schwarze Sprache, die in Mordor gesprochen wird. Klar, auch zu Tolkiens Zeit waren literarische Kunstsprachen längst keine Neuheit mehr, aber dennoch unterscheidet sich der Sprachwissenschaftler und Autor von seinen Kolleg*innen. Denn anstatt die Sprache extra für sein Werk zu erschaffen, erschuf er das Werk um die Sprache herum. Bei Tolkien war die Leidenschaft für die Sprache, ihre Struktur, ihr System und ihre Phonetik gleichzeitig auch treibende Kraft in seinem kreativen Schaffen. Erst kam die Sprache, dann die Story. Er selbst war multilingual und so mit den Lauten und der Logik von Sprachsystemen gut genug vertraut, um sein meisterhaftes Sprachuniversum zum Leben zu erwecken. Doch nicht jede fiktive Kunstsprache findet ihre Geburtsstunde einzig und allein in der linguistischen Leidenschaft einer Einzelperson.

Die Kunstsprache Klingonisch beispielsweise, die im Star Trek-Universum auf dem Planeten Qo’noS gesprochen wird, wurde von dem US-amerikanischen Sprachwissenschaftler Mark Okrand parallel zur Produktion entwickelt, um die Handlung und die Charaktere der Erfolgsserie authentischer zu machen. Um die Nicht-Menschlichkeit der Außerirdischen Wesen auch phonetisch zu verdeutlichen, wurde bei der Entwicklung von Klingonisch darauf geachtet, so viele unübliche Laute wie möglich in die Sprache einzubauen.

Auch George Orwells Newspeak, zu Deutsch Neusprech, hatte eher eine inhaltliche Funktion als eine sprachästhetische. In seinem dystopischen Roman 1984 ist Neusprech die von dem totalitären Regime entwickelte und durchgesetzte Amtssprache, deren Vokabular so ausgerichtet ist, dass sich mit ihm keinerlei oppositionellen Gedanken denken – geschweige denn aussprechen – lassen. Orwell, der mit bürgerlichem Namen Eric Arthur Blair hieß, hat die Idee zur Verwendung von Kunstsprachen in seinem Roman mit großer Wahrscheinlichkeit aber einem realen Projekt entnommen. Als junger Mann lebte Orwell in den 1920er-Jahren für einen längeren Zeitraum bei seiner Tante in Paris. Deren Lebenspartner Eugène Adam verzichtete im Haus völlig auf die Verwendung seiner Muttersprache – Französisch – und sprach stattdessen eine Sprache, die ebenfalls künstlich geschaffen wurde: Die Plansprache Esperanto, die er zur Sprache und treibenden Kraft des von ihm erhofften Aufstands des Proletariats machen wollte. Doch dazu später mehr.

Wie entwickelt man überhaupt eine völlig neue Sprache?

Wie bereits angedeutet sind Kunstsprachen kein Relikt vergangener literarischer Epochen. Ganz im Gegenteil. Besonders im Kino sind sie aktueller denn je und die Allermeisten von uns dürften in den letzten 10 Jahren mit einigen von ihnen vor den Leinwänden und Fernseh-Bildschirmen in Berührung gekommen sein. Da wäre zum Beispiel das von Paul Frommer entwickelte Na’vi, das in den Avatar-Filmen von den blauen Bewohnern Pandoras gesprochen wird. Weitere bekannte Beispiele sind die HBO-Serie Game of Thrones und die Wüsten-Trilogie Dune. Hier werden gleich mehrere Kunstsprachen gesprochen: Bei Game of Thrones ist Valyrisch und Dothraki am prominentesten, in den Dune-Filmen das arabisch anmutende Galach.

Die letzten drei Beispiele stammen alle aus der Feder der Sprachwissenschaftlerin Jessie Sams und ihres Partners und Kollegen David J. Peterson. Insgesamt haben die beiden bereits über 30 ethnische Sprachen gelernt und über 60 künstliche Sprachen erfunden. Als Linguist*innen beschäftigen sie sich damit, wie Sprachen aufgebaut sind, und sind mit diesen Informationen auch in der Lage, neue zu bauen. Man könnte sie also Sprachingenieure nennen, die ihre Aufträge hauptsächlich von Filmproduzent*innen bekommen. Wenn sie einen neuen Auftrag bekommen, wird eine neue Sprache geboren und an allererster Stelle steht in diesem Prozess die Phonetik. Für das Galach haben sich die beiden beispielsweise stark am Lautbild des Arabischen orientiert und eine arabische Aussprache des „q“ verwendet. Haben die beiden einmal das Lautbild einer Sprache festgelegt, werden daraus erst Wörter und auf Basis der Wörter dann schließlich die Grammatik gebildet. Hierbei ist besonders wichtig, sich nicht in theoretischen Überlegungen zu versteifen – denn um authentisch zu wirken, muss eine Sprache natürlich klingen und intuitiv gesprochen werden können. So könnte man auf theoretischer Ebene zwar als Regel festlegen, dass alle Wörter in einem Satz in alphabetischer Reihenfolge erscheinen, im praktischen Sprachgebrauch wäre das allerdings unmöglich. Außerdem müssen Kunstsprachen im Fantasy-Kontext auch immer zu der Kultur passen, für die sie geschaffen werden. So gibt es in der Dothraki-Sprache beispielsweise besonders viele Wörter aus dem Wortfeld Pferd – denn die Dothraki sind ein Reitervolk. Der Unterschied zwischen Kunstsprachen und natürlichen Sprachen ist dabei gar nicht so groß, wie man annehmen könnte. Wenn ein Sprachsystem einmal entworfen ist, liegt der einzige Unterschied darin, dass natürliche Sprachen über längere Zeiträume hindurch eine dynamische Entwicklung hinter sich gebracht und damit nicht nur Bedeutung, sondern auch Komplexität hinzugewonnen haben.

Während manche Kunstsprachen sich an keiner natürlichen Sprache orientieren (beispielsweise das Klingonisch), entlehnen andere ihr lexikalisches Material aus natürlichen Sprachen und passen dies dann zu einem gewissen Grad an ein bestimmtes System an. Auf diese Herangehensweise griffen auch die Schöpfer der sogenannten Plansprachen wie Esperanto oder Volapük zurück. Diese Kunstsprachen werden bewusst geschaffen, um internationale Kommunikation zu erleichtern.

Esperanto, Volapük und Co.: Die Geschichte der Plansprachen

Die Plansprachen entstammen einem Abschnitt der Geschichte, der außerhalb linguistischer oder historischer Kreise kaum mehr Teil des gesellschaftlichen Gedächtnisses sein dürfte. Die Rede ist vom sogenannten „battle of artificial languages“, das im späten 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg die intellektuelle Landschaft Europas prägte. Die immer stärkere Internationalisierung wissenschaftlichen Austauschs verlangte nach einer „Lingua Franca“ – also einer Sprache, die theoretisch von jedem Menschen verstanden, gesprochen und genutzt werden kann. Im Laufe der Jahrhunderte wurden immer wieder derartige Versuche gestartet, ein besonders frühes Beispiel ist die „Lingua Ignota“, die im 12. Jahrhundert von der Benediktinerin Hildegard von Bingen konstruiert wurde. Doch im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert mehrten sich die Versuche, eine Weltsprache zu schaffen – und konkurrierten im Rennen um den Status als politische Amtssprache. Im Jahr 1879 erschuf ein deutscher Pfarrer die Sprache Volapük, der französische Logiker und Mathematiker Louis Couturat kreierte im Jahr 1907 seine Sprache Ido, Edgar de Wahl und Otto Jespersen schufen in den 1920er-Jahren Occidental und Novial. Auch die wohl bekannteste aller Plansprachen entstammt diesem Zeitraum: Das Esperanto, die Einzige unter ihnen, die vielen Menschen auch heute noch ein Begriff ist.

„Die internationale Sprache, soll gleich jeder Nationalen, ein allgemeines Eigentum sein, weshalb der Verfasser für immer auf seine persönlichen Rechte darüber verzichtet.“

So äußerte sich der Erfinder des Esperanto, der polnisch-jüdische Augenarzt Ludwik Zamenhof, im Jahr 1888 auf dem Kongress zur Internationalen Sprache in Warschau zu seiner linguistischen Schöpfung – zu dieser Zeit noch unter seinem Pseudonym Dr. Esperanto. Zamenhof gründete seine Kunstsprache auf einer zutiefst demokratischen Auffassung von Kommunikation, die Sprache aus einer sozialen Perspektive heraus betrachtet und sie offiziell an die Sprecher*innengemeinschaft übertrug. Mit seiner einfach zu lernenden Sprache hat ihr Initiator bis heute viele Menschen erreicht: Bis zu zwei Millionen Menschen weltweit sprachen in der Hochphase flüssig Esperanto. Das erste Lexikon zu Esperanto (Esper Ant O: Derjenige, der hofft) veröffentlichte Zamenhof im Jahr 1887. In ihm sind die Grundbausteine der Sprache, ihre minimalistische Struktur sowie das Symbol des Esperanto vermerkt: Ein fünfzackiger grüner Stern, der in der Farbe der Hoffnung die fünf Kontinente symbolisiert. In den Folgejahren schlug Zamenhofs Plansprache solche Wellen, dass im Jahr 1922 dann schließlich eine internationale Konferenz des Völkerbundes zum Thema Esperanto abgehalten wurde. Denn Zamenhof betrachtete seine eigene Schöpfung als perfekt organisierte Maschine des Weltfriedens und war mit seiner Meinung nicht alleine: Weltgrößen wie Tolstoi und Ghandi unterstützten sein demokratisches Bestreben als potentiell fruchtbarer Beitrag zu weltweiter Einheit. Esperanto wurde als die Lingua Franca der unterdrückten Schichten angesehen und erfreute sich weltweit einer solchen Beliebtheit, dass sich bis nach China unzählige Vereine gründeten. Somit ist es nicht verwunderlich, dass der Völkerbund schließlich das Esperanto als mögliche Weltsprache verhandelte.

Esperanto entlehnt sein lexikalisches Material aus natürlichen Sprachen und passt dieses an das eigene Sprachsystem an. Dabei stammen etwa 75 % des Wortschatzes aus romanischen Sprachen, 20 % haben einen germanischen Ursprung und der Rest ist verschiedenen, besonders den slawischen Sprachen, entlehnt. Das Esperanto funktioniert nach einer recht simplen Logik, weshalb die Sprache als äußerst leicht zu erlernen gilt. Die Aussprache ist regelmäßig, jeder Buschstabe halt stets den gleichen Laut und jeder Laut wird ausschließlich auf eine Art und Weise buchstabiert. Hinsichtlich der Grammatik gibt es wenige Regeln, die ebenfalls in jedem Fall gleich zur Anwendung kommen. Auch Zeitworte und Konjugationen sind regelmäßig: Mi lernas bedeutet „ich lerne“, il lernas bedeutet „er lernt“. Worte werden im Esperanto aus ihren Wortwurzeln gebildet, so bedeutet labori „arbeiten“, laborejo „Arbeitsstelle“ und laboranto „Arbeiter“.

Aufgrund seines pazifistischen und pluralistischen Charakters wurde Esperanto unter Hitler und Stalin schließlich verboten. Bis heute gibt es keine Kontinuitätslinie. Zwar wird die Kunstsprache noch von einigen Menschen gesprochen, doch wird ihre Verwendung als offizielle Amtssprache schon längst nicht mehr diskutiert. Denn diese Rolle hat mittlerweile längst das Englische übernommen. Doch das utopische Potential von Kunstsprachen wie Esperanto ist deshalb noch lange nicht erschöpft. Denn sie sind nicht Sprachen der Macht, sondern Sprachen der Menschen, wurden nie im Kolonialkontext verwendet und funktionieren nicht nach elitären Exklusionsmustern. Vielleicht erscheint in Zeiten von Dothraki, Valyrisch und Galach also ja doch bald eine zweite Welle der Plansprachen auf der Bildfläche mit dem Anspruch, Klassenbarrieren und kulturellen Vorurteilen auch aus linguistischer Perspektive den Garaus zu machen.

Sollten Sie dann auf der Suche nach einer professionellen Übersetzungsagentur sein, kontaktieren Sie uns gerne. Denn wir gehören sicher mit zu den ersten, die sich für die neuen Plansprachen begeistern.