Sprache lebt und entwickelt sich mit unserer Gesellschaft stetig weiter. Aus den Themen, die unseren Alltag prägen, entstehen oft völlig neue Wortkreationen. Diese Neologismen sammelt das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim seit 1991. Die verbreitetsten Neuzugänge des vergangenen Jahres veröffentlicht es in einer Liste. Auch in dieser Hinsicht war das Jahr 2020 sehr bewegt: Einige der spannendsten Wortkreationen 2020 stellen wir Ihnen hier vor.
Ein Artikel von Maria, Sprach-Liebhaberin, Travelerin und Leseratte
Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS)
Das IDS beschäftigt sich seit über 56 Jahren mit der Erforschung und Dokumentation der deutschen Sprache. Neben der Archivierung von deutschen Dialekten und Fremdwörtern, der Analyse von Einflüssen anderer Sprachen und einer umfassenden Darstellung der deutschen Grammatik führt das Institut auch das Internetlexikon der deutschen Sprache OWID, das neue Wörter im deutschen Sprachgebrauch erfasst und katalogisiert. Hier erfahren Sie etwa, was ein Remainer ist, ob schockverlieben etwas Positives ist oder ob Klicktivismus oder eine Mobilitätsstation das sind, was man sich darunter vorstellt.
Upcycling & Trumpismus: Neue Wortkreationen 2020
Neologismen zeigen auf, welche Themen die Gesellschaft gerade beschäftigen. Eine weitere Funktion von neuen Begriffen ist, dass sie „komplizierte Sachverhalte auf einen Nenner bringen können“, sagt der Münchner Soziologe Armin Nassehi.
Für 2020 nahmen laut Sprachwissenschaftlerin Heidrun Kämper vom Leibniz-Institut neben der Pandemie auch die Bedrohung der Demokratie sowie der Klimawandel einen besonderen Rang ein. So ist etwa ein „Identitärer“ eine „als rechtsextrem eingestufte Person, die ihre nationale Identität besonders betont und gegen vermeintlich Fremdes abgrenzt“. Der Begriff „Trumpismus“ bezeichnet einen „Regierungsstil, der darauf abzielt, Interessen durch forsche und nachdrückliche Politik auf internationaler Ebene durchzusetzen“.
Doch auch der Klimawandel scheint langsam in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein und als eine reale Bedrohung wahrgenommen zu werden: Das Ergebnis sind Wörter wie „Klimatest“ (= Umfrage zu Sicherheit, Fahrvergnügen und Komfort beim Radfahren in deutschen Städten) oder „upcyceln“ (= hochwertige bzw. alternativ (erneut) nutzbare Produkte aus altem bzw. kaputtem (recyceltem) Material herstellen).
Das Corona-ABC
Weit verbreitete Begriffe wie „Heimquarantäne“, „Herdenimmunität“ oder „Superspreader“ haben es sogar in die Liste der neuen Wortkreationen 2020 geschafft. Doch der neue Wortschatz rund um die Coronapandemie ist noch wesentlich umfangreicher: Insgesamt über 1.000 neue Begriffe kommen hier zusammen. Darunter wohl bekanntere Wörter wie „Abstandsregel“, „Coronacluster“, „Maskenverweigerer“ oder „Distanzunterricht“ und auch weniger bekannte, wie zum Beispiel „Coronastarre“ (Zustand geistiger Unbeweglichkeit während der COVID-Pandemie), „coronieren“ (etwas in Zeiten der COVID-Pandemie anpassen) oder „Coronials“ (Kinder, die während einer Heimquarantäne gezeugt wurden).
Das unbeliebte „Coronatief“ werden die meisten von uns wohl schon erlebt haben. Manch einer wird, ausgestattet mit einer „Designermaske“ oder einem „Faceshield“, durch „coronaleere“ Innenstädte flanieren, vorbei an „Geisterrestaurants“. Die perfekte Kulisse, um sich in den schönsten Farben eine „Nach-Corona-Welt“ auszumalen: eine Welt, die wieder offline geht, die bruncht statt ein „Onlinefrühstück“ zu veranstalten, in der Kollegen ein Bierchen trinken gehen, statt auf eine „Online-Afterworkparty“.
„Gute Worte“ für die Corona-Krise
Doch nicht alles, was in der „Coronazeit“ entsteht, ist schlecht. Durch Online-Konferenzen, Online-Masterminds oder auch Online-Workshops erhalten insbesondere auch introvertierte Menschen die Chance, einfacher neue Kontakte zu knüpfen. Wir sind kreativer geworden und digitaler. „Remote Working“, E-Learning und „Zoomcalls“ sind plötzlich in unseren Alltag gerückt, und die Zuschaltung der Eltern und Großeltern per Videokonferenz ist für manche zu einer neuen Art geworden, geliebte Menschen von nah und fern „live zu treffen“.
Die Pandemie hat uns auf unsere „Digitalisierungslücke“ aufmerksam gemacht und sicherlich zu vielen kreativen Ansätzen in der Geschäftswelt, in der Kulturbranche und in der Bildung geführt. Wer weiß, wie viele Menschen sich so vielleicht mit Technologien angefreundet haben, die sie sonst ignoriert hätten?
Und doch werden wir feiern, wenn die „Coronakrise“ überstanden ist. Und zwar keine „digitalen Konzerte“, „Netflixparties“ oder „Drive-in-Clubs“. Sondern echte Feiern mit Menschen zum Anfassen und Umarmen. Die „Post-Corona-Zeit“ wird kommen und vielleicht hilft uns die „Coronazeit“ wiederzuentdecken, was wir an unseren Freunden, Bekannten, Kollegen und an unserer Familie besonders schätzen.