Anglizismen im Deutschen – Sprachwandel oder Sprachverfall?

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Sprache ist fluide – und das ist auch gut so. Denn wäre sie ein in sich geschlossenes System, das Einflüsse von außen abweist, anstatt sie zu integrieren, würden wir uns vermutlich noch immer mit steinzeitlichen Lauten verständigen. Sprache entwickelt sich mit dem Umfeld, in dem sie verwendet wird. Und je komplexer dieses Umfeld ist, desto komplexer müssen die sprachlichen Systeme sein, die es erfassen. Dennoch gibt es laute Stimmen, die angesichts neuer sprachlicher Einflüsse den Verfall der deutschen Sprache prophezeien – und das besonders dann, wenn diese Einflüsse aus dem Englischen kommen.

Ein Beitrag von Valentina, Juniortexterin in Berlin

Anglizismen und die Angst vor dem Sprachverfall

Angesichts der immer häufigeren Verwendung von Anglizismen, die durch die Sozialen Medien auf direktem Wege in die Jugendsprache und nach und nach auch in den Duden gelangen, hat die Angst um die deutsche Sprache aktuell Hochkonjunktur. Und damit ist weniger die berechtigte Kritik daran gemeint, dass die häufigere Verwendung des Englischen manche Menschen vom öffentlichen Diskurs ausschließt, als vielmehr die Angst vor dem sogenannten Sprachverfall. Konservative Stimmen setzen sich nicht für diejenigen ein, die des Englischen nicht mächtig sind. Sie behaupten, dass die Verwendung englischer Begriffe die deutsche Sprache zersetzen, ihren individuellen Charakter rauben, ihr die Bedeutung entziehen und sie schlussendlich zerstören würde. Doch das öffentliche Diskutieren und Publikmachen derartiger Sorgen sind alles andere als neue Phänomene. Im europäischen Raum sorgen sich Sprachpurist*innen schon seit Jahrhunderten immer wieder um die Unversehrtheit der jeweiligen eigenen Sprache.

Ein besonders frühes Beispiel findet sich in einem religiösen Gedicht aus dem frühen 14. Jahrhundert mit dem Titel „Cursors Mundi“, das auf Nordhumbrisch verfasst ist, einem Dialekt der altenglischen Sprache. Der unbekannte Autor bemerkt, dass es sich für Engländer*innen gehöre, sich in ihrer Muttersprache auszudrücken. Er oder sie bezieht so eine klare Stellung gegen die Verwendung französischer Fremdwörter, die zu dieser Zeit in England in Mode kamen. Einige Zeit später, im 16. Jahrhundert, erlebte England dann eine heftig geführte Kontroverse um Entlehnungen aus dem Lateinischen, die im wissenschaftlichen Kontext zwar erwünscht, im alltäglichen Sprachgebrauch jedoch als unmanierlich empfunden wurden.

Ebenso wie in England hat die Obsession mit der Unversehrtheit der Sprache auch in Deutschland eine lange Geschichte. Sprachpurist*innen gab es auch hier schon immer. Ein besonders bekannter Vertreter ist der Schriftsteller und Sprachforscher Joachim Heinrich Campe, der im 19. Jahrhundert Verdeutschungen für über 11.000 Fremdwörter vorschlug. Manche von ihnen haben sich in der Sprache durchgesetzt, beispielsweise „Erdgeschoss“ als Ersatzbegriff für das französische Wort „Parterre“ oder „fortschrittlich“ für den Begriff „progressiv“. Manche wurden zwar nicht übernommen, aber dennoch für ihren gewissen poetischen Wert geschätzt, wie der vorgeschlagene Begriff „Zwischenstille“ als Ersatz für das Wort „Pause“, das ebenfalls dem Französischen entspringt. Wieder andere waren aber schon dem damaligen Publikum etwas zu absurd. Ausdrücke wie „Geistesanbau“ (Kultur) oder „Urgemisch“ (Chaos) fanden keinen nachhaltigen Eingang in die Alltagssprache und führten dazu, dass sich bereits Campes Zeitgenoss*innen über seine Obsession mit einer „reinen deutschen Sprache“ amüsierten. Das im 18. Jahrhundert verbreitete Gerücht, er habe vorgeschlagen, das Wort „Nase“ mit „Gesichtserker“ zu ersetzen, hält sich bis heute.

Bemühungen wie die Joachim Campes hängen meist eng mit nationalistischen Gesinnungen zusammen und richten sich dementsprechend häufig gegen die sprachlichen Einflüsse eines Landes, das im jeweiligen Zeitverständnis ein Feindbild darstellt. So erklären die politischen Spannungen und militärischen Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und Frankreich, die das 19. Jahrhundert mit Napoleons Feldzügen und dem Deutsch-Französischen Krieg geprägt haben, weshalb Sprachpurist*innen in dieser Zeit hauptsächlich gegen Gallizismen (Lehnwörter aus dem Französischen) ins Feld zogen. Der erste Vortrag, der sich explizit gegen die englische Sprache richtete, wurde erst im Jahr 1899 unter dem Titel „Wider die Engländerei in der deutschen Sprache“ von dem Germanisten Hermann Dunger gehalten. Diese Antipathie gegenüber englischen Fremdwörtern hielt sich in Deutschland das gesamte 20. Jahrhundert hindurch und hat besonders in den letzten 10 Jahren im öffentlichen Diskurs nochmals an Fahrt aufgenommen.

Die Angst vor Anglizismen, Gallizismen und Co. ist also schon um einiges älter als Social Media. Doch bevor wir uns mit der Frage beschäftigen, warum die Stimmen gegen die alltägliche Verwendung des Englischen gerade jetzt wieder so laut werden, und ob sie tatsächliche eine Gefahr für andere Kultursprachen darstellt, sollten wir uns erst einmal das linguistische Phänomen an sich ansehen.

Denn was sind Anglizismen eigentlich genau und welche Formen gibt es?

Der Begriff Anglizismus wird als die Übertragung einer für das Englische charakteristischen sprachlichen Erscheinung in eine nicht englische Sprache definiert. Das Englische stellt hierbei die donor language dar, das Deutsche in unserem Fall die recipient language. Wenn ein Begriff von der Sprachgemeinschaft der recipient language akzeptiert wird, wird er mit der Zeit in den Sprachgebrauch übernommen. Es lassen sich folgende Formen von Anglizismen unterscheiden:

  • Wortentlehnung: Das englische Wort wird in die andere Sprache übernommen und unterschiedlich stark an das jeweilige Laut-, Schrift- und Grammatiksystem der aufnehmenden Sprache angepasst. Im Deutschen geschieht dies besonders bezüglich Kasus, Genus, Numerus. (Beispiel: Die Waffe des Killers, Die Tiefen des Internets) Auch andere Veränderungen kommen vor, darunter etwa Kürzungen. Außerdem folgen Geschlechtszuweisungen (Beispiel: The job wird zu Der Job).
  • Lehnübersetzung: Ein Wort wir eins-zu-eins in eine Zielsprache übersetzt. Beispiele hierfür sind die deutschen Begriffe „Gehirnwäsche“ (von brainwashing), „Flutlicht“ (von floodlight) oder auch der Ausdruck „nicht wirklich“ (von not really). Zuvor wurde hierfür „eigentlich nicht“ verwendet.
  • Lehnübertragung: Übersetzt wird hier eher die Idee hinter dem Wort, die Wortbestandteile werden nicht eins-zu-eins übersetzt. Ein Beispiel für eine Lehnübertragung ist Wolkenkratzer für Skyscraper. Eine Lehnübersetzung für diesen Begriff würde „Himmelskratzer“ lauten.
  • Lehnbedeutung: Bereits existierende deutsche Wörter werden um ihre englische Bedeutung erweitert. Beispiele: „Realisieren“ bedeutet durch den Einfluss des englischen Verbs to realize nicht mehr nur bemerken, sondern auch verwirklichen. Und auch das deutsche Wort „Held*in“, das im Deutschen früher einmal ausschließlich einen Menschen beschrieb, der eine herausragende Leistungen vollbringt, wurde um seine englische Bedeutung erweitert. Im modernen Sprachgebrauch bedeutet Held*in – wie das englische hero – nun auch literarische Hauptfigur. Ein weiteres Beispiel ist das deutsche Wort „feuern“, das sich am englischen to fire orientierte und nun neben „schießen“ auch „entlassen“ bedeutet.
  • Scheinanglizismus: Unter Scheinanglizismen versteht man Wörter, die zwar von englischen Begriffen inspiriert sein können, aber im Englischen nicht existieren. So benutzt kein*e Engländer*in jemals den Begriff „Handy“ für phone, „Mobbing“ für bullying oder „Smoking“ für Anzug. Sie weisen keinen echten Zusammenhang zur englischen Sprache auf.
  • Formenbildung: Bei der Formenbildung handelt es sich um Verben, die selbst Anglizismen sind, in deutsche Sätze eingebaut und dabei mit deutschen grammatischen Endungen versehen werden. Das Partizip Perfekt von Verben wird manchmal mit der Endung -ed gebildet: gesprinted, gespotted, geposted.

Die meisten Anglizismen sind im Deutschen besser getarnt als gedacht

An einigen dieser Beispiele zeigt es sich bereits: Wenn der Einbettungsvorgang einmal abgeschlossen ist und ein Wort in seiner recipient language ein neues Zuhause gefunden hat, ist es irgendwann gar nicht mehr so leicht, es überhaupt als Anglizismen zu identifizieren. Job, Party, Container oder Team sind Begriffe, deren anglophonen Ursprung die meisten deutschen Muttersprachler*innen schon längst vergessen haben. Diese eingedeutschten Ausdrücke sind ein Beweis dafür, wie fremdsprachliche Einflüsse eine Sprache vielfältiger machen und dabei helfen, Sachverhalte präzise zu benennen. Und auch die Worte selbst profitieren von ihrer linguistischen Reise über Landesgrenzen hinweg.

So kam das (mittlerweile) deutsche Wort „Start“ und das dazugehörige Verb „starten“ im frühen 20. Jahrhundert als Fachausdruck aus dem englischen Pferderennsport über den Ärmelkanal zu uns und hat im Vergleich zu seinem englischen Ursprungsbegriff im Deutschen einen Bedeutungszuwachs zu verzeichnen. „Start“ bedeutet bei uns nicht nur der Beginn einer Bewegung zum Zweck der Ortsveränderung, sondern auch Premiere, Auftakt oder – als „Neustart“ – den Eintritt in einen neuen Lebensabschnitt. Hier vollzieht sich quasi eine umgekehrte Variante der Lehnbedeutung, bei der – wir erinnern uns – ein existentes deutsches Wort seine englische Bedeutung dazugewinnt. Auch das englische Wort „Box“ hat sich im Deutschen verselbstständigt. Es wurde aus dem Englischen übernommen, bedeutet nun aber – anders als in seiner donor language – neben „Kiste“ auch „Lautsprecher“. Weitere Beispiele für Anglizismen, die schon beinahe keine mehr sind, sind Begriffe wie „Flirten“ (um 1904 aus dem Englischen übernommen), „Manager“ (1905), „Camp“ (1945), „Job“ (1940) und „Teenager“ (1950).

Anhand dieser Beispiele zeigt sich, was den meisten von uns schon bewusst ist: Grammatische Konstruktionen, Sprichwörter und Begriffe sind nicht einfach nur passive Güter, die von Journalist*innen oder neuen Generationen von einer Sprache in die andere geschleppt werden. Sie haben ein Eigenleben und machen sich in neuen linguistischen Kontexten selbstständig. Von solchen Vorgängen haben Sprachen schon immer profitiert. Im 19. Jahrhundert stellte Französisch die hauptsächliche „Gebersprache“ von Lehnwörtern ins Deutsche und Englische dar. So sind beispielsweise die Begriffe „Großmutter“ und „grandmother“ Lehnübertragungen der französischen „grand-mère“. Auch Begriffe wie Regie, Pavillon, Visage, Akteur, Beton, Clique und Fassade entstammen dem Französischen. Die Liste der schon seit Langem eingedeutschten Gallizismen ist endlos. Wörter mit französischem Ursprung sind ein fester Bestandteil der deutschen Sprache, ihre Übernahme ist nur schon lang genug her, dass sich niemand mehr darüber ärgert. Ganz im Gegenteil: Gallizismen gelten als Indikator für Bildungsgrad und Wohlstand.

Warum schüren also gerade Anglizismen die aktuelle Angst vor dem Sprachverfall?

Aus sprachpuristischer Perspektive müsste Fremdwort gleich Fremdwort und Anglizismus gleich Anglizismus sein – eigentlich. Denn in der Realität sieht das anders aus. Während Gallizismen und englische Lehnwörter aus dem vergangenen Jahrhundert längst akzeptiert und schon lange nicht mehr im Zentrum der Debatte um die Reinheit der deutschen Sprache stehen, deutet der linguistisch-konservative Finger immer stärker in Richtung Social Media und Jugendsprache. Es sind besonders jugendliche Ausdrücke wie „slay“, „sus“, „tea“ und „cringe“, die die*den ein*e oder andere*n gutbürgerliche*n Deutsche*n auf die Palme bringen. Doch woran liegt diese Doppelmoral?

Einen sinnvollen Erklärungsansatz für dieses Phänomen liefert Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft an der FU Berlin. Er betont, dass Sprachveränderung der wohl wichtigste Indikator gesellschaftlicher Veränderungsprozesse ist. Neue gesellschaftliche Praktiken verlangen nach adäquater Benennung – und wenn eine wichtige Bezugskultur bereits über die geeigneten Wörter verfügt, werden diese irgendwann einfach übernommen. Durch Entlehnungen ist eine Sprache in der Lage, sich neuen Entwicklungen anzupassen.

Die Angst vor dem Sprachverfall ist also – im 18. ebenso wie im 21. Jahrhundert – nicht frei von politischer Ideologie und gesellschaftlicher Idealvorstellung. Denn die Sprache symbolisiert einen Status, den das konservative Lager aufrechterhalten will. Im Fall der aktuellen Debatte um den Sprachverfall, ist die Veränderung, die diesen Status quo gefährdet, die gesellschaftliche Pluralisierung. Die Gleichberechtigung von Menschen aller sexuellen Orientierungen, Geschlechtsidentitäten und ethischen Hintergründe ist auf dem Vormarsch und vielen Konservativen nach wie vor – ob im Offenen oder hinter verschlossenen Türen – ein Dorn im Auge. Viele Anglizismen, die die Generation Z heutzutage in ihre Alltagssprache integriert, entspringen gesellschaftlichen und politischen Bewegungen, die diese Veränderung mittragen. Häufig verwendete Ausdrücke wie „sus“, „tea“ und „slay“ haben ihren Weg aus der US-amerikanischen queeren Szene in den internationalen Mainstream der Gen-Z-Sprache gefunden. Wieder andere Ausdrücke und Redewendungen kommen aus dem afroamerikanischen Slang. Und auch die erhitzt geführte Debatte um die gendergerechte Sprache ist eng mit der Debatte um und Angst vor dem Sprachverfall verwoben. Sprache verändert sich, wenn sich die Gesellschaft verändert – und wer das eine ablehnt, sträubt sich in den meisten Fällen auch gegen das andere.

Ist eine gewisse Sorge um die deutsche Sprache dennoch berechtigt?

Hier lautet das klare Fazit: Nein. Zwar haben gewisse Bedenken ihre Berechtigung, besonders wenn es um die Vormachtstellung des Englischen im publizistischen Kontext oder auch die Voraussetzung guter Sprachkenntnisse ohne gleichzeitige Bereitstellung von Bildungsangeboten geht. Dabei geht es aber um die Rolle des Englischen im globalen Kontext, nicht die Verwendung von Anglizismen. Von einer Zerstörung anderer Kultursprachen kann durch die Übernahme englischer Begriffe auf keinen Fall die Rede sein. Veränderung ist gut und Veränderung ist notwendig, das gilt auch für Sprachen. Denn auch sie unterliegen – ebenso wie Kultur und Technologie – den Prozessen der Globalisierung, für die das Englische die Hauptsprache ist. Mehrsprachlichkeit wird immer mehr zur Norm und die mit ihr einhergehende Multikulturalität führt dazu, dass Phänomene und Konzepte, die im Deutschland des letzten Jahrhunderts noch keine Bezeichnung benötigten, heute eine brauchen. Eine Sprache läuft erst dann Gefahr zu verschwinden, wenn sie nicht mehr nützlich ist – wenn sie die Welt mit ihren Worten nicht mehr greifen kann. Dass sich das Deutsche vor diesem Hintergrund Wörter aus anderen Sprachen leiht, um eventuelle Lücken im Wortschatz mit interessanten Alternativen zu überbrücken, kann also auf lange Sicht nur Vorteile mit sich bringen.